Vom Ursprung der Magie

Einige Gedanken zur Einführung.

Vom Ursprung der Magie

Einige Gedanken zur Einführung.

In der Wiege der Wissenschaft war ein jeder Teil der Natur Gegenstand einer einfachen, aber tiefen und geheimnisvollen Bewunderung und wurde von der zu poetischer Betrachtungsweise geneigten Phantasie des Menschen unter die spezielle Herrschaft und die besondere schützende Aussicht und Vormundschaft seiner eigenen speziellen präsidierenden Gottheit gestellt. Die Erde, der Ozean, die Flüsse und Bäche, die Sterne, die Winde, die Berge, die Hölzer usw. – sie alle wurden einer besonderen übernatürlichen Macht unterstellt, – jedes hatte seinen eigenen, ihm zugehörigen Gott. Die Krankheiten, von welchen die Menschheit dann und wann heimgesucht wurden, – die übrigens in früheren Zeiten wahrscheinlich seltener waren, als in neueren, – wurden für ein Erzeugnis bösartiger Genien gehalten und Träume wurden als die Gabe guter Geister gedacht; Nervöse Krisen, im Zusammenhang mit einem gewissen abnormen Zustand des Organismus stehend, galten als prophetische Inspirationen.

Aus diesem Grunde rührt jene bunt gescheckte Mythologie, welche die religiöse Überzeugung ganzer Nationen repräsentierte, die später durch die Phantasie der Dichter erweitert, verschönert und fortgepflanzt wurde, wenngleich seitdem in Misskredit geraten, und durch die Ausbildung einer reineren, »wahreren« Religion und die damit verbundene allmähliche Entwicklung einer »gesunderen« und rationelleren Philosophie verdrängt, sich dennoch in vielen Gewohnheiten, Vorurteilen, Gebräuchen und Zeremonien des Volkes, bis hin zu weit späteren Perioden und der Gegenwart, auffinden lässt. Im Verlaufe der Zeit verband sich jedoch ein Geist meditativer Forschung mit der Betrachtung der Natur und Philosophen mit kultiviertem Geiste erdachten metaphysische Systeme, die allerdings zu einem Großteil auf noch keiner substantiellen Basis gegründet waren und die, nur für Personen mit außergewöhnlicher Geisteskraft bestimmt (Akroatismus; eine ausschließlich Eingeweihten vorbehaltene Lehre), dem größten Teil der Menschen unverständlich blieben und somit wertlos für sie waren.

Zuletzt siegte das Christentum über das Heidentum und obgleich mit der populären Annahme des neuen Glaubens noch ein bedeutender Teil von altem Heidentum verbunden war, wurde der menschliche Geist doch von der vermeintlichen Knechtschaft vieler »irriger Konzeptionen« befreit. Eine andere Betrachtungsweise von Naturphänomenen und deren ursächlichen Zusammenhängen setzte ein und führte zu Schlussfolgerungen, die sich von den »Irrtümern« und »Halluzinationen« einer »unreifen Spekulation« befreit hatte.

Die Gelehrten unserer Tage nehmen an, dass die Wissenschaft und Zivilisation ihren Ursprung in den östlichen Erdteilen hat, namentlich unter den alten Assyrern, Baktriern, Chaldäern, Babyloniern, Ägypter, Hindus, Medern und Persern. Es ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass unter besagten Urnationen der Erde der Ausdruck Magie sowohl als eine Bezeichnung physischer, als auch übernatürlicher Wissenschaft angewandt wurde und die heutigen Fachgebiete Philosophie, Religion, Theologie, Astronomie und Medizin umfasste.

Jene Personengruppen, welche sich diesen Studien hingaben und dafür galten, dass sie in denselben die größten Fortschritte erzielt hatten, wurden Magier (Weise, Philosophen) genannt; es waren die Lehrer und die Lernenden der heutigen physischen und psychischen Wissenschaften; sie waren Lehrer, Priester und auch Propheten unter dem gemeinen Volke, und da Kenntnisse jeder Art in jenen frühen Zeiten ein seltener Besitz waren, so wurden jene »Priester-Philosophen« von dem größtenteils ungebildeten und abergläubischen Volke stets mit scheuer Ehrfurcht betrachtet, indem Letztere glaubten, dass die höheren Kenntnisse und Geschicklichkeiten der Ersteren lediglich durch einen fortwährenden Verkehr und eine innige Verbindung mit gewissen übernatürlichen Wesenheiten erhalten werden könne. Auf diese Weise verband sich bei den frühen Völkern des Ostens das Studium der Natur mit der Religion und beide wurden als das ausschließliche »Reich der Magier« betrachtet, – der Priesterschaft, die die derart erlangten Kenntnisse mit ihrem Kultus und ihren religiösen Zeremonien verbunden hatte.

Demnach müssen wir den Ursprung der Magie in den ältesten traditionellen Erinnerungen der Urvölker und in den ersten Dämmerungen der menschlichen Zivilisation suchen: Babylonien, Chaldäa, Assyrien, Baktrien, Persien, Medien, Ägypten und Indien – die Hauptsitze der alten Magier und folglich der frühesten, unter der Menschheit verbreiteten, Philosophie. Zoroaster, die chaldäischen Sternedeuter und Wahrsager, die ägyptischen Priester sowie die indischen Brahmanen, sie alle scheinen die ersten Besitzer und Lehrer dieser geheimnisvollen Wissenschaft namens Magie gewesen zu sein. Diesen Personengruppen oblag auch die Leitung der religiösen Lehren, der Gottesdienste, der Opferhandlungen und Zeremonien des Volkes, der Heilhandlungen von Kranken, und vor allem der Wahrung der ihnen heiligen Wissenschaft.

Die Aussage, dass Kenntnis Macht sei, oder zumindest die Behauptung, dass Kenntnisse die wirksamsten Mittel zur Erlangung und Erhaltung der Herrschaft über die Masse des Volkes verschaffe, gilt hier im besonderen Maße und wohl auch für alle Zeit, ganz besonders aber für die Wiege der kultivierten Gesellschaft, wo Gelehrtentum, Besitz von Kenntnissen und Unwissenheit durch eine größere Kluft getrennt waren und aller Wissenschaft allgemein ein überirdischer Ursprung zugeschrieben wurde. Deshalb galten die Magier in diesen frühen Zeiten beim Volk als die verehrten Besitzer aller Wissenschaft, heiliger und profaner, und folglich standen sie als Vermittler und Schlichter zwischen Himmel und Erde, als die Interpretatoren des göttlichen Willens für die Bewohner dieser »niederen« Welt, in höchstem Ansehen. Ihre soziale Stellung in der menschlichen Gesellschaft entsprach der Würde ihrer geheiligten Funktion. Entweder waren sie selbst Fürsten und/oder Beschützer des Landes oder aber die unentbehrlichen Ratgeber der Fürsten, wie uns die Schriften des Alten Testaments und andere alte schriftliche Überlieferungen lehren. Wie ihre Pflichten sehr bedeutungsvoll und wichtig, so waren auch ihre Verantwortlichkeiten enorm und stringent. Die von ihnen verlangten Eigenschaften bestanden, außer ihren Kenntnissen und ihrem praktischen Wissen, in einer strengen Wahrheits- und Gerechtigkeitsliebe und in einem durchaus größtenteils reinen, höchst uneigennützigen Charakter. Eine Vernachlässigung der übertragenen Pflichten oder die Verletzung einer dieser wesentlichen Tugenden hatte für jene »Verbrecher« die härteste Bestrafung zur Folge, wovon auch die Geschichte mehrere bedeutsame Beispiele aufbewahrt hat.

Nach dem bisher Gesagten ergibt sich, dass das Wort Magus oder Magier, in seiner ursprünglichen Bedeutung, zugleich einen Philosophen als auch einen Priester, einen Verehrer und Kultivierer alles natürlichen und moralischen Wissens bezeichnete. Da nun aber, nach den ersten Begriffen der Menschheit, alle Wissenschaft gleichsam im »Oben« ihren Ursprung besaß, von einer unmittelbaren göttlichen Inspiration, Kraft und Weisheit, und von Generation zu Generation als das besondere Erbteil und Eigentum der Priesterschaft – der Magier – bewahrt und überliefert wurde, so wurden auch die Glieder dieser heiligen Kaste nicht nur als besondere Lieblinge und Begünstigte des Himmels und als die erblichen Diener der Volksreligion betrachtet, sondern auch als die Gesetzgeber, Ratgeber und Ärzte des Volkes. Denn auch die Arzneikunde und Medizin galt in jenen Zeiten als ein Geheimnis und wurde folglich als ein Teilbereich der heiligen Wissenschaft Magie betrachtet. Dies geht aus den Zeugnissen mehrerer alter Schriftsteller, als auch aus den Büchern des Alten und Neuen Testaments hervor. Plinius bsw. leitet die Medizin von der Magie ab, indem er in seiner Hist. nat., Lib. XXX c.1 schreibt: »natam primum e medicina nemo dubiat magiam«. Auch Plato betrachtet die Magie als die Wissenschaft, welche dem Dienste der Religion gewidmet ist (derape…a de‹on). Apuleius, wie auch verschiedene andere Schriftsteller, lehren uns, dass das Wort Magus in der persischen Sprache einen sacerdos (Priester) bezeichne, und dass ein Magus, im eigentlichen Sinne, vom Volk als ein bevorzugtes privilegiertes Individuum betrachtet und verehrt wurde und eine Verbindung mit den Göttern unterhielt. Die Magier waren also sowohl die Ärzte, als auch die Priester des Volkes.

Die Verbindung dieser beiden Eigenschaften hielt sich in Europa noch lange nach der Zerstörung der alten Institutionen des Heidentums. Bis zu einer verhältnismäßig neuen Zeit standen z. B. in Frankreich die Hospitäler ausschließlich unter der Aufsicht und Verwaltung jener Geistlichen. Nach der Einführung des Christentums entarteten Magie und Magier in einer traurigen Weise: Die Zwangsbekehrten warfen nun den heidnischen Priestern die Verehrung des Teufels vor, welchem sie alle ihre Kenntnisse, Macht und Fähigkeiten verdanken sollten. Ab diesem Zeitpunkt wurde – bis in unsere Gegenwart hinein – die Magie als teuflisch und diabolisch gebrandmarkt und abgestempelt.